Einleitung
Das hier vorgestellte Praxisprojekt erstreckte sich über 10 Lektionen und wurde zusammen mit einer Praxislehrperson in einer 5. Primarschulklasse (7H) im deutschsprachigen Teil des Kantons Fribourg umgesetzt. Ausschlaggebend war die Beobachtung, dass die Schülerinnen und Schüler im Schreibunterricht wenig spannende Geschichten zu Papier brachten. Zwar wurde im Unterricht schon in verschiedenen Schreibwelten und Erzählübungen implizit und explizit an den Textsortenmerkmalen und Textsortenmustern verschiedener Erzähltypen (z. B. Märchen, Sagen, historische Nacherzählungen etc.) gearbeitet, der Transfer – insbesondere der Spannungskonzepte – in eigene Geschichten wollte bei der Mehrheit der Lernenden nicht so recht gelingen.
Es entstand die Idee, in einem halbgeführten Lernsetting nun die Repräsentationsebene zu wechseln und eine Zwischenstation im Schreibunterricht einzuschieben: visual storytelling. In diesem Lernarrangement sollten die Lernenden schwerpunktmässig ihre narrativen Fähigkeiten trainieren, gleichzeitig aber eine Kombination verschiedener anderer Kompetenzbereiche mitaktivieren (siehe Tabelle 1). Der didaktische Grundsatz „Schreiben lernt man nur durch Schreiben“ ist richtig, im hier vorliegenden Fall lag das Problem aber nicht daran, dass die Schüler·innen nicht Geschichten schreiben konnten, sondern sie hatten noch nicht für sich entdeckt, wie sich Erzählungen strukturieren lassen und wie das Konzept Spannung zu Stande kommt.
Die hier vorgestellte Lernumgebung wollte die Lernenden dazu animieren, über einen weitestgehend selbstorganisierten, kooperativen Prozesss Spannungskonzepte in eigenen audiovisuell umgesetzten Trickfilmen auszuprobieren. Die Lernumgebung machte den Schüler·innen das Angebot, eigene erzählerische Fähigkeiten weiter zu trainieren, kollaborativ Kurzgeschichten zu konzipieren und dabei die Technik des Storyboardings als Planungshilfe (für mündliche und schriftliche Erzählprodukte) kennen und anwenden zu lernen. Um sicherzustellen, dass es auf allen Ebenen zu metakognitiven Reflexionsphasen kommt, die ihrerseits eine Vielzahl von Lerngelegenheiten bieten, wurde das Projekt kollaborativ in Partnerarbeiten (mehrheitlich geschlechterdurchmischt) angegangen. Die Schülerinnen und Schüler erhielten auch Einblick in die Thematik, wie Zeichentrickfilme in der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie erstellt werden und hatten Gelegenheit ihre Erfahrungen mit der synmedialen Lernumgebung zu reflektieren.
Gearbeitet wurde mit der App Toontastic 3D. Eine Einführung in den Funktionsumfang und Hinweise auf mögliche Einsatzgebiete auf Grundschulstufe bietet dieser Blogartikel: Visual Storytelling mit ‚Toontastic 3D‘. Für das hier angesteuerte primäre Lernziel (Erzählungen mit Spannungsbogen generieren) bietet die App ideale scaffolds an, indem sie Lernenden im Prozessverlauf anzeigt, an welcher Stelle des sich auf- und wieder abbauenden Spannungsbogens sich die gerade geplante Filmsequenz befindet.
Lernbereiche
Die Lernumgebung bietet dadurch die Möglichkeit in folgenden Kompetenzfeldern Fortschritte zu machen (es werden nur die wichtigsten aufgelistet):
Kompetenzbereich | Kompetenzen | |
---|---|---|
implizit | Schreiben | methodische Kenntnis in der Schreibprozessplanung (storyboarding), adressat·innenorientiert konzipieren, Textsortenmuster und -merkmale einer Erzählung mobilisieren und produktiv umsetzen können |
explizit | dialogisches Sprechen | dialogisches Aushandeln der Prozessorganisation und des Erzählplots inklusive Figurenrede(n); diskursives Reflektieren der Ergebnisse; dialogisches Peer-Feedback |
explizit | monologisches Sprechen | Einsprechen der Figurenrede in Toontastic 3D; Verbalisieren eigener Rezeptionserfahrungen in Reflexionsrunden, metareflexive Äusserungen zum eigenen Arbeitsprozess und der Medienkompetenz |
explizit | IKT-Kompetenzen | grundlegende iPad-Bedienung, explorative Bedienung der App am iPad, komplexe Figurenbewegungen mit multiplen Fingergesten, Augmentierung vorgegebener Charaktere mit Zeichenwerkzeugen, digitales Zeichnen eigener Kulissen, Nutzen der Exportfunktion und Abruf der gespeicherten Datei im Fotoarchiv, Einsprechen der Tonaufnahmen und ggf. ersetzen, Vor- und Nachteile von App und iPad erkunden und reflektieren |
implizit | Sprache im Fokus | Grammatikalische Reflexionen (Standardsprachgebrauch im Bereich Mündlichkeit) und orthografische Reflexionen (eintippen von Filmtiteln: die App zwingt zur Grosschreibung jedes Titel-Wortes: Diskussion!) |
explizit | Literarisches Lernen | Textsortenmuster und -merkmale einer Erzählung kennen, verstehen und produktiv nutzen, Spannungskonzepte verstehen und produktiv nutzen, einen einfachen literarischen Plot entwerfen und erweitern/korrigieren, Perspektivenübernahmen üben, visuell-auditives Storytelling im Medium Anmiationsfilm kennen lernen und produktiv nutzen |
implizit | Lesen | Bilder lesen und einige grundlegende Beobachtungen zum Semantisierungspotenzial von visuellen Objekten/Figuren und deren Gestaltung/Animation anstellen, diese reflektieren und nutzen |
explizit | Hören | Geräusche, Musik und Dialoge wirkungsorientiert einsetzen; Lautstärken von Sprechbeiträgen, Hintergrundaktivitäten und Musik zielführend zueinander ins Verhältnis setzen; eigene Höreindrücke nutzen um korrigierend in das eigene Produkt einzugreifen und anderen Rückmeldung zu ihrem Produkt zu geben |
explizit | Fremdsprachen | Lesen und verstehen der englischen Steuerbegriffe der App |
Aufteilung der Lektionen (Retrospektiv)
Die 10 Lektionen wurden wie folgt über den Zeitraum von drei Wochen verteilt. Es wurde auf den Gruppenprozess Rücksicht genommen: Wenn es angebracht war, wurden Folgestunden direkt angehängt, meistens waren aber bereits Doppelstunden (Deutsch und M&I für diesen Lernprozess reserviert). Die Planung erfolgte rollend von Woche zu Woche um auf das Lerntempo und den Erkenntnisprozess der einzelnen Teams reagieren zu können. Die einzelnen Einheiten waren hauptsächlich selbstorganisierend (schüler·innenzentriert) angelegt, die Lehrpersonen reagierten spontan beratend und begleitend. Für störungsfreies Arbeiten standen den Lernenden verschiedene Gruppenräume, die Bibliothek, die Holzwerkstatt und ein freies Klassenzimmer zur Verfügung. Die Lehrpersonen besuchten die Lerngruppen reihum in den Räumen und standen für spontane Anfragen zur Verfügung.
Lektionen | Inhalte |
---|---|
1. Lektion | Erkunden von Erzählungen, die keine sind: Diskussion in Gruppen und Plenum Ziel: Textsortenmerkmale und -muster einer idealtypischen Erzählung definieren, Kriterienraster aufstellen |
2. Lektion | Erstbegegnung mit Toontastic 3D, 30min in Tandems damit spielen, witzige Produkte erstellen, 20min Reflexion im Plenum |
3. Lektion | Exposition mit professionellen Storyboards und ihren Vereinfachungen, in Zweierteams eigene Erzählung aushandeln und dazu ein Storyboard zeichnen, Hinweis auf Adressaten und Aushandlung, was mit dem Produkt passieren soll (Veröffentlichung auf Schul-Webiste, Filmfestival im Klassenverband, Elternabend, Filmvernissage beim Schulfest, etc.), Hinweis auf geplante Bewertungs- und Rückmeldeformen (mit Klasse diskutieren) |
4. Lektion | Peer-Gespräche über bisher Gelerntes (Textsorte Erzählung), Kriterien einer guten Erzählung repetieren und festhalten, Schwerpunkt: Spannungsbogen mit kurzem LP-Input (Metapher: Gummiband) |
5. Lektion | Einspielen der eigenen Geschichte in Zweierteams mittels Toontastic 3D, LP: Prozessbeobachtungen und Notizen |
6. Lektion | Selbstbeurteilung und Peer-Beurteilung der entstandenen Produkte; Metareflexion: Wo entstehen Probleme? Wo fehlt etwas und was? |
7. Lektion | Umsetzen der Erkenntnisse in neues Storyboard in Zweierteams, LP gibt parallel dazu Zweierteams formatives Feedback zu den Produkten der 5. Lektion |
8. Lektion | Kurzinput Storyboarding und Zeichentrick-Industrie: Wie machen es die Profis? Besprechen ausgewählter Stellen in bestehenen Filmprodukten der Klasse. Gegenüberstellung: Selbstbeurteilung und Peer-Feedback |
9. Lektion | Einspielen der neuen Geschichte in Toontastic 3D in Zweierteams, Export der Produkte auf Lehrpersonencomputer, danach optional: summative Produktbeurteilung nach vereinbarten Kriterien (1. und 4. Lektion) |
10. Lektion | Trickfilmfestival: Die Trickfilme werden gemeinsam angeschaut, gefeiert, anschliessend Gruppenreflexion über Prozess und Produkte |
Einblick in den Lernprozess
In den Plenumssequenzen gelang es sehr gut, das gebündelte Erfahrungswissen der Klasse zu nutzen, um gemeinsam die Kriterien einer guten Erzählung zu definieren. Die Lernenden wurden mit vorgefertigten Fragmenten von Geschichten konfrontiert, die folgendermassen typisiert werden können:
- fehlender Anfang: die Handlung setzt unvermittelt ein, es entsteht Unklarheit über die Protagonisten, den Ort und den Kontext der Handlung
- fehlender Schluss: die Kürzestgeschichte bricht nach einer Expositon der Figuren und einer spannungsvollen Handlungsentwicklung abrupt ab. Rezipierende hängen am erzählerischen Höhepunkt (Cliffhanger) und wollen wissen, wie es weiter geht, aber es kommt nichts mehr
- fehlende Handlung: nach Erzählbeginng folgt direkt der Schluss ohne Spannungsbogen und erzählerische Handlung
- unklare Personage: Kürzestgeschichte bleibt unverständlich, da Figuren ungenügend deutlich eingeführt oder voneinander unterschieden werden
- unklarer Ort: der Kurzerzählung fehlt der geografische oder räumliche Kontext
- fehlendes Spannungskonzept: die Erzählung verfügt über Anfang, Hauptteil und Schluss, die Figuren sind klar und der räumliche Kontext ersichtlich, es kommt aber keine Spannung auf; Geschichte bleibt flach und vermittelt keinen Rezeptionsgenuss
Im Gruppengespräch ist es der Lerngruppe rasch gelungen, an diesem Rohmaterial zu identifizieren, was zu einer guten/kompletten Geschichte fehlt. Aus dieser Exposition mit Negativbeispielen gelang es den Lernenden, die positiven Kriterien abzuleiten und auf einem persönlichen Merkblatt (Checkliste) festzuhalten: Eine gute Erzählung braucht a) einen Anfang, b) einen Hauptteil, c) einen Schluss, sie verfügt über d) Figuren, die e) in eine Handlung verwickelt sind, die in einem f) räumlichen Kontext stattfindet und e) einem Spannungsbogen folgt.
Da die Spannungskonzeption das Hauptproblem im Schreibunterricht war, wurde diesem Thema besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Metapher des angespannten Gummibandes wurde in einem kurzen Lehrpersonen-Input eingeführt. Die Geschichte ‚Opas Insel‘ von Benji Davis wurde vorgelesen. Parallel dazu wurde ein Gummiband gezeigt, das in Momenten der Spannung (prognostische Spannung = wie-Spannung oder suspense = was-Spannung) angespannt wurde und in Momenten des Spannungsabfalls erschlaffte. Zur Veranschaulichung kann jede·r Lerndende ein eigenes Gummiband während des Zuhörens anspannen und erschlaffen lassen und damit während des Zuhörens auf der Metaebene des Rezeptionsprozesses auf Spannungsmomente achten. Wichtige Erkenntnis: Nicht alle Kinder finden die selben Erzählmomente (gleich) spannend. Die eigene Lesebiographie spielt eine Rolle hinsichtlich der Erwartung an eine Textsorte und auch die Einschätzung der Intensität eines Spannungsmomentes hängt von vorangehenden Rezeptionserlebnissen und Persönlichkeitsmerkmalen ab.
Über diese Exposition wurde der Klasse bewusst, dass Spannung sich aber prinzipiell entlang eines Bogens entwickelt. Mindestens ein Spannungshöhepunkt sollte in einer Geschichte vorkommen, damit sie erzählenswert wird. Viele Geschichten haben mehrere Spannungshöhepunkte, die sich in Art und Niveau unterscheiden können.
Da in der Toontastic-App mit einer Visualisierung des Spannungsbogens gearbeitet wird, wurde diese Darstellung mit der Klasse als eine mögliche Visualisierung diskutiert:

Die Smilieys in der Visualisierung geben Hinweise auf die Art und Weise, wie der Spannungsbogen zustande kommt: Es sind Herausforderungen, Konflikte, Krisen oder Gefahren, deren Ausgang oder deren Bewältigung unklar sind, die Spannungshöhepunkte erzeugen. Diese bringen Rezipierende dazu, die Geschichte weiter verfolgen zu wollen. Spannung ermüdet aber auch – sie kann nicht unbeschränkt aufrecht erhalten werden, sondern muss auch wieder aufgelöst werden. Im oben dargestellten Schema beginnt die Geschichte spannungsarm, entwickelt sich auf einen Krisenmoment zu und nimmt schliesslich rasch eine glückliche Wendung.
Schüler·innen-Produkte
Hier nur eine kleine Auswahl von Animationsfilmen, die in Zweiergruppen im Rahmen dieses Kleinprojektes entstanden sind. Ebenfalls gezeigt werden einige Storyboards. Die Lernenden hatten gelernt, dass das Storyboard unterschiedlich viel Platz für die drei Erzählteile bietet: ein Bild steht auf der oberen Blattpartie für den Erzählbeginn, drei Bilder können zum Hauptteil der Erzählung in die Blattmitte gezeichnet werden, auf dem untersten Teil des Blattes gibt es zwei Bilder zum Erzählschluss.
Der Einsatz der App ermöglichte es durch die beschränkte Auswahl von Kulissen und Figuren die kognitive Last der Aufgabe zu reduzieren und gleichzeitig Strukturhilfen zu bieten, an denen sich die Lernenden orientieren konnten. Die kreative Energie konnte somit ganz auf die Erzählung gerichtet werden. Die regelmässige Exposition mit den scaffolds der App (z. B. dem vorstrukturierten Spannungsbogen), führten zur effektiven Verankerung wichtiger Textsortenmerkmale.
Der verrückte Familienausflug
Auf einem abenteuerlichen Schiff fahren die Eltern mit ihren drei Kindern übers Meer und geniessen die Aussicht auf einer schönen Insel, bis es zu einem tragischen Zwischenfall kommt, der sich erst gegen Ende der Erzählung wieder auflöst.

Die beiden Schülerinnen haben aus eigenem Antrieb einen Weg gefunden, das Storyboard noch umfassender als Organisationshilfe einzusetzen: Mit Leuchtmarker kennzeichnen sie die Figuren, damit klar wird, wer welche Gesprächsrolle zu übernehmen hat. Jede der sechs Szenen (verteilt auf Anfang, Hauptteil und Schluss) zeigt damit a) Kulisse, b) Figuren, c) Sprechrolle, d) Stichworte der Dialoge. Den Kindern war zudem klar, dass in der Eingangsszene eine Figurenexposition erfolgen muss (Vorstellung). Im Animationsfilm wird deutlich, dass dazu eine spezifische Dialogstruktur nötig wurde: Alle Figuren müssen am Anfang zum Sprechen kommen und dabei muss deutlich werden, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und wie sie heissen. Der Titel der Erzählung hat sich im Arbeitsprozess noch einmal verändert.
Die Geschichte entwickelt sich entlang eines Spannungsbogens, es werden verschiedene Kulissen verwendet, die Figurenbewegungen werden passend ausgenutzt und die Lernenden spielen angemessen mit ihrer Sprache. Sogar eine kleine Pointe wurde in die Geschichte eingebaut:
Ein aufregender Schultag
Eigentlich beginnt der Mathematikunterricht bei Herrn Ludwig so wie immer, die Schülerinnen und Schüler sind allerdings etwas unkonzentriert und haben andere Prioritäten als das Einmaleins. Als Herr Ludwig einen Wutanfall bekommt, entwickelt sich eine spannungsgeladene Verfolgungsjagd mit glücklichem Ausgang. Die Kurzgeschichte verrät auch einiges über die Reproduktion klassischer Stereotypien bezüglich der Institution Schule.

Im Storyboard ist auffällig zu erkennen, wie sich eine Klammer zwischen Spannungshöhepunkt und Auflösung um den Hauptteil der Erzählung bildet: In Szene 2 verwandelt sich Herr Ludwig, ein Pfeil in Szene 5 deutet an, dass die Rückverwandlung eingeleitet wird und über diesen Spannungsabfall der Schluss der Erzählung greifbar wird.
Auch hier ist ein klarer Spannungsbogen erkennbar. Es wurden passende Kulissen ausgewählt und stimmig entlang der sich entwickelnden Erzählung eingebaut. Das Produkt zeigt, dass es für die zwei Schüler·innen auch möglich war, mehrere Figuren gleichzeitig zu navigieren und sich in kurzer Zeit mit dem Funktionsumfang der App vertraut zu machen. Sehr schön gelungen ist auch die Figurenexposition am Erzählbeginn, die nicht gekünstelt wirkt, aber etwas Zeit in Anspruch nimmt:
Die spannende Forschung
Wie unterhaltsam Primarschüler·innen mit ihrer Stimme spielen können und sich richtig in die selbstkreierte Dramaturgie hineingeben, zeigt folgender Kurzfilm. Das Forscherpaar Luke & Lisa wird von seiner Abenteuerlust aus dem langweiligen astronomischen Forschungsalltag gerissen. Die beiden wenden sich irdischeren Gefilden zu und machen eine schockierende Bekanntschaft. Erst nachdem sie ihre Hilfsbereitschaft unter Beweis stellen, machen sie eine grandiose Entdeckung, die ihnen mehr Ruhm und Geld einbringt, als die bisherige Suche nach ausserirdischen Lebensformen:
Der gestohlene Adler
Lilly und Captain Bra müssen erleben, dass ihr Spionage-Adler Balu bei einer Erkundungstour auf einer unbekannten Insel gestohlen wird. Jetzt ist guter Rat teuer für das übellaunige, ruppige Piratenpärchen. Sie müssen sich zusammenraufen, anstatt sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben und mit allen Mitteln versuchen, Balu wieder zu finden. Die Geschichte verzichtet auf ein Happy End und schliesst mit offenem Ausgang.
Besonders gelungen ist in diesem Kurzfilm die sprachliche und stimmliche Darstellung des resoluten Figurenpärchens, die Musikauswahl und ebenfalls der Spannungsverlauf. Das Storyboard zeigt den Spannungshöhepunkt genau in der Erzählmitte (oberer Bildteil = Anfang, Mittelstreifen = Hauptteil, unterer Bildteil = Schluss):

Die magische Welt
Der untenstehende Kurzfilm wurde von zwei Lernenden erstellt, die sehr unterschiedliche entwickelte Sprachkompetenzen in Deutsch zeigen. Die Geschichte wurde so erzählt, dass die Schülerin, die über eine andere Erstsprache als Deutsch verfügt, weniger Sprechtext hat und sich doch mit ihrem aktuellen Kenntnisstand einbringen kann. Das Zweierteam hat sich entschieden, die Toontastic-Kulisse des Schulhauses um eine selbstgezeichnete Türe zu erweitern (diese wurde als unbewegter Charakter eingefügt) und in der letzten Szene eine Kulisse selber zu gestalten. Die Idee dazu ist schon im Storyboard ersichtlich.

Das Internat Lindenhof
Zwei Kinder müssen die idyllische Insel verlassen, um nach den Sommerferien im Internat Lindenhof endlich auf den Ernst des Lebens vorbereitet zu werden. Sie ahnen nicht, das dieser schulische Lernort ein aussergewöhnliches Geheimnis bereit hält, von dem bisher nur die Klassenlehrerin wusste.
Im Kurzfilm simulieren die Regisseur·innen Kameraeinstellgrössen: Im zweiten Teil des ersten Aktes der Erzählung wird von der Totalen in die Halbnahe geschnitten. Im Rest des Films wird v. a. zwischen Halbotale und Totale gewechselt. Die Schüler·innen haben selber herausgefunden, dass mit dem Zweifingerzoom die ganze Kulisse mitsamt den Figuren stufenlos vergrössert werden kann. Die Spannung steigert sich in dieser Erzählung nur langsam. Ein Höhepunkt wird erreicht, als Luke im Internat Lindenhof einen geheimen Pokal entdeckt, der magische Kräfte entfaltet und ein Portal öffnet. Die Geschichte könnte noch weiter gehen, endet aber nach dem ersten Spannngsabfall. Die Lernenden kennen ähnliche Episodenstrukturen von TV- und Internetserien.
Reflexionen und Beurteilungen
Wie Tabelle 2 entnommen werden kann, fanden mehrere reflexive Gruppen- und Paargespräche statt. Die Lernenden haben dabei ihre Erfahrungen mit der synmedialen Lenrumgebung reflektiert, ihr eigenes Produkt beurteilt, andern Zweiergruppen Feedback gegeben und den eigenen Arbeitsprozess in den Blick genommen.
Im Klassengespräch über die App-Nutzung schilderten die Lernenden, dass Sie mühelos mit dem Funktionsumfang von Toontastic 3D klar kamen. Zu den genannten Schwierigkeiten gehörte das gleichzeitige Bewegen mehrerer Figuren und einige Zweierteams brauchten etwas Zeit, bis herausgefunden hatten, wie sie nachträglich Sequenzen in den Erzählverlauf einfügen konnten. Die Lernenden haben in ihren Tandems ausgehandelt, ob einzelne Sequenzen nachträglich gelöscht und neu eingespielt werden sollten. Ein Schüler äusserte Bedenken, die App könnte Lernende aushorchen und Gruppengespräche mitverfolgen. Dieser Einwand ermöglichte es, Datenschutzfragen zu klären und mit der Gruppe zu vereinbaren, dass die App nur im Offlinemodus betrieben wurde (die iPads verfügten über keine Sim-Karten), die Lernenden wurden dazu angehalten, keine Klarnamen zu verwenden (Pseudonyme oder zugewiesene SuS-Nummern).
Die Beurteilungskriterien wurden am Anfang mit der Klasse vereinbart und dann von der LP in ein Spinnen-Diagramm übertragen.
Für die Anpassung an die Kriterien, die mit der Klasse vorausgehend ausgehandelt werden, stehen zwei leere Beurteilungsbögen zur Verfügung:
Die Unterrichtsreihe diente – wie eingangs erwähnt – vor allem dem Aufbau von Textsortenwissen und der Kenntnis der Funktionsweise von Spannung in Erzählungen. Entsprechend eignen sich die unterschiedlichen Zwischenstationen im Lektionsverlauf für formative Rückmeldungen. Auch der Gruppenprozess (Beobachtungen der LP während der Gruppenarbeitsphasen) sollte in die Rückmeldung einbezogen werden. Formative Rückmeldungen müssen konkret und spezifisch erfolgen. Die Notizen der LP zum Gruppenprozess und das Filmprodukt ermöglichen es, den Lernenden genau zurück zu melden und zu zeigen, was auffiel, was gut gelungen ist, was wie wirkt und was verbessert werden könnte.
Wer unbedingt eine summative Produktbewertung vornehmen will, kann sich an folgendem Raster orientieren und es beliebig anpassen:
Dank
Ein grosser Dank gilt Karin Friolet und Susanne Schafer, die mir wertvolle Unterrichtszeit zur Verfügung stellten und mit mir in einen lehrreichen und offenen Ideen- und Erfahrungsaustausch traten. Beide Lehrerinnen haben am Praxisumsetzungsprojekt mitgearbeitet und unterstützt. Karin Friolet hat in der rollenden Planung mit ihrer Kenntnis der Lerngruppe wichtige Impulse zur Förderung gegeben. Als Klassenlehrperson arbeitet sie im Schreibunterricht mit der Lerngruppe am Erzählen spannender Geschichten weiter und bestätigt, dass die Intervention den Kindern geholfen hat, ein einfaches Spannungskonzept zu verstehen und in ihr eigenes Erzählen zu integrieren.
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